Eine kleine Geschichte - mit kleiner Moral. Es geht um Robocops, Rucksack-Kondome & Don Geilos.
Zugegeben, sehr professionell sah ich nicht aus. T-Shirt, Shorts, Sneaker.
Immerhin hatte ich meinen Helm aus Deutschland mitgebracht. Ganz anders die Typen, mit denen ich die nächsten 40 Kilometer einer Mountainbike-Tour für Einsteiger (!) bestreiten sollte: Grell-bunte Trikots mit viel Werbung drauf, schnittige Racing-Helme, Rücksäcke mit Wasserdepot und Trinkschläuchen. Nicht zu vergessen: Tour-de-France-Sonnenbrillen und Hightech-Schuhe, mit denen sie sich in die Pedale festklicken konnten. Ich wollte gar nicht wissen, was die Kollegen noch an Equipment in ihren Rucksäcken hatten – garantiert mehr als ich (Flasche Wasser, eine darin aufgelöste Magnesium-Brausetablette, meine Laufjacke).
Um es kurz zu machen: Ich stand den Robocops des Mountainbiking gegenüber.
Dass die meisten auch noch aus Bergregionen Österreichs, der Schweiz und Bayerns kamen, beruhigte mich nicht wirklich. Mich, einen im norddeutschen Flachland aufgewachsenen Griechen.
Außerdem fuhr ich zu dem Zeitpunkt erst seit wenigen Monaten Mountainbike im eigentlichen Sinne - nicht ernsthaft, aber hin und wieder im Gelände. Gut, es waren auch noch ein paar bunt angezogene, lustige Holländer dabei - das soll nicht verschwiegen werden.
Die Gruppe stand zusammen. Die Fachsimpeleien gingen los. Es waren noch einige Minuten bis zur Abfahrt. Ich hielt mich raus und lauschte dem geballten Wissen der Checker. Gelegentlich fiel bei der Equipment-Diskussion der Blick auf mich. Ich tat cool – das kann ich manchmal ganz gut.
Die Tour begann. Ein wenig fühlte ich mich wie damals, wenn der Startschuss zu einem 800m- oder einem Waldlauf fiel. Eine Mischung aus Aufregung und „endlich loslegen können“.
Oh, und natürlich lag reichlich Testosteron in der Luft.
Die ersten Kilometer. Eine gut ausgebaute Straße. Es wurde abgecheckt: Wer fährt wie schnell. Wer hat genug Atem und spricht beim Fahren; wer nicht. Wer hält sich zurück.
Dann kam der (Unter-)Grund, wegen dem wir alle hier waren: Runter von der Straße und dorthin, wo der Schotter liegt und es bergauf geht.
Die ersten Opfer hatten wir bereits nach der Hälfte der Strecke zu beklagen. Wir hielten an einem Staudamm. Die Holländer-Gruppe hatte zwei ihrer Leute verloren - sie hatten die Nacht vorher durchgesoffen und haben es nicht bis zum Staudamm geschafft. Einer soll sogar umgekippt sein. Nach einer Zigarette (!) beschlossen die übrigen Holländer, dass sie ebenfalls nicht mehr konnten und umkehren wollten… Schließlich hatten sie ja auch gesoffen. Das nennt mal wohl Auslese. Nur ein Holländer wollte weiterfahren – er winkte seinen rosa, gelb und weiß trikotierten Kameraden hinterher.
Learning 1: Ein buntes Trikot mit viel Werbung drauf macht noch keinen Mountainbiker – und auch keinen Saufabend inklusive Zigaretten wett.
Nach dem Staudamm kam der anstrengende Teil. Steiler. Steiniger. Die Checker fuhren vor. Gelegentlich nahm man einen Profi-Schluck aus dem Profi-Trinkschlauch. Ich fuhr hinterher… Bis ich feststellte, dass die Bergländer zunehmend langsamer wurden. Nanu?! Zuviel Hightech-Material im Rucksack? Zuviel Eigengewicht, um die Steigungen hochzukommen? Was war los?
Um ehrlich zu sein: Es war mir egal. Ich genoss es, an dem Hightech-Schweizer vorbeizufahren, der vorher noch meine Sneaker kommentiert hatte. Auch ein Bayer musste sich überholen lassen und auch der Typ im blauen Racing-Einteiler - oder was das war.
Keine Bange, das wird jetzt keine Angeber-Story... Es gab zwei, die ich trotz Aufwärtsrausch nicht überholen konnte: Den Guide und einen zweiten Typen aus Bayern, der nicht nur so tat, sondern wirklich Mountainbiker war. Damit konnte ich gut leben.
Learning 2: Ein Rucksack mit Wasserdepot und Trinkschlauch hilft bergauf auch nicht viel.
Tag 2:
Es begann zu regnen. Die Well-Equipten öffneten ihre Rucksäcke und holten ihr Regenzeug heraus. Dazu gehörte auch ein Regenschutz für den Rucksack. Gewissermaßen ein Rucksack-Kondom. In den Signalfarben: Orange, Rot, Gelb… Natürlich hatte ich nur eine wind- und regenabweisende Jacke dabei - für mich. Mein Rucksack musste so klarkommen.
Der Hightech-Schweizer ließ es sich nicht nehmen, meine karierten Shorts aus Baumwolle zu kommentieren - während er sich seine lange, hautenge, am Hintern gepolsterte Synthetik-Radlerhose anzog und von der doppelverglasten Racing-Sonnenbrille - ein Glas Sonnenschutz, das zweite dahinter für die Sehstärke - auf eine normale Brille wechselte. Dabei referierte er weiter in meine Richtung zum Thema "richtiges Equipment"...
Als er mir mit seinen Kommentaren vollends auf die Nerven ging, sagte ich so etwas wie, dass wir auf einer Mountainbike-Tour seien und nicht bei der Pediküre. Er gab endlich Ruhe.
Learning 3: Von wegen neutrale Schweiz.
Es ging bergab. Die Checker ließen mich vor. Ich dankte. Ersparte es mir doch den Anblick ihrer drolligen Rucksack-Kondome… Der fitte Bayer fehlte heute. Leider, denn er hat zu den Sympathischen der Gruppe gehört. Der Guide fuhr bergab – ich mit etwas Abstand hinterher. Im Nachhinein darf ich nicht darüber nachdenken, was passiert wäre, wenn ich mich langgelegt hätte... Schotter-Gesichts-Peeling anyone?
Während ich also dem Guide folgte, stellte ich fest, dass mir jemand im Nacken saß. Und zwar so dicht, dass es mich unruhig machte. Ich ließ den krassen Downhiller vorbeiziehen. Doch siehe da. Es war kein Checker mit Trinkschlauch im Mund… Längere weiße Haare lugten unter dem Helm hervor. Der Typ dürfte so um die 50 gewesen sein. Er fuhr in Shorts und Joggingschuhen an mir vorbei.
Ihn hatte ich so gar nicht auf dem Zettel - und die Hightech-Fuzzis hinter uns wohl auch nicht. Immerhin konnte einer von ihnen - der dickliche Laber- und Angeber-Typ mit der Helmkamera - filmen, wie er von einem circa 25 Jahre älteren Mann überholt wurde... und es zu Hause seiner Verwandtschaft zeigen. Mir armen Sau bleibt nur die schriftliche Form.
Respektlos fuhr der Weißhaarige über den Schotter und das Geröll… Je länger wir fuhren, desto größer wurde der Abstand zwischen uns. Beachtlich!
Am Ende der Tour nickten wir beiden, die Equipment-Minimalisten, uns zu und kamen ins Gespräch. Die bunten Kondom-Rucksäckler waren zwischenzeitlich in den Bus gestiegen, der sie zum Mountainbike-Verleih zurückfahren sollte. Es waren nicht genug Plätze für alle. Der Guide, der Angstfreie und ich hatten uns nicht gleich in den Bus gedrängt, also warteten wir zusammen auf die zweite Bustour und unterhielten uns.
Der Weißhaarige kam aus Hamburg (Ha!). Er war früher „Motocrosser“ (das erklärt einiges). Er wollte einfach mal Mountainbiken ausprobieren, sagte er. Eigentlich würde er ja in seiner Freizeit leidenschaftlich joggen (deshalb die Joggingschuhe - übrigens noch ungeeigneter als meine Sneaker). Ich zollte ihm Respekt für seine Downhill-Qualitäten.
Wir saßen noch eine Weile auf einer Bank und unterhielten uns mit dem Guide. Er erzählte uns von seiner Zeit als Rennrad- und Mountainbike-Profi. Mittlerweile war die Sonne wieder da. Es war warm und wir tranken Wasser aus unseren Flaschen (auch der Ex-Profi). Vor meinem inneren Auge sah ich die Equipment-Checker im Bus sitzen, an ihren Trinkschläuchen nuckelnd über neues, teures und dringend benötigtes Biking-Material diskutieren...
Warum erzähle ich nun diese Geschichte? Zumal sie schon einige Zeit zurückliegt.
Nun, sie ist all den Checkern gewidmet, denen ich regelmäßig begegne - privat und beruflich. Online wie Offline. Es sind die zahlreichen "Don Geilos", die "Schnacker" und der Rest der "Dicke-Hose-Gang".
All jenen, deren Auftreten offenbar meilenweit entfernt von ihrer tatsächlichen Leistung ist, möchte ich mit dieser Geschichte nur sagen: Macht ruhig. Wichtig ist am Berg. Wir sehen uns dort - Ihr bunten Vögel.
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